Marianne Hessing

 

Marianne Hessing war wohl auch noch posthum eine der schillernsten Salukizüchterinnen und Persönlichkeit der Nachkriegszeit. Um nach wie vor kolportierten Spekulationen zu begegnen, habe ich ihr Leben recherchiert und aufgeschrieben.

Mariannes Eltern waren nicht nur wohlhabend, sie waren unermeßlich reich. Ihre Mutter Gertrud Klönne entstammte einer Familie der Großindustrie, wie auch der heute noch berühmte Konzern Krupp oder Thyssen im damals aufstrebenden Ruhrgebiet. Ihr Großvater August Klönne war ein Pionier der Großindustrie:

http://www.zagermann.de/proj/waturm/augkloe.html

Das Klönne Werk war in Duisburg ansässig. Noch heute sind mehrere, von ihnen gebaute Gaswerke, Brücken und andere Industriebauwerke weltweit in Betrieb.

http://de.wikipedia.org/wiki/August_Kl%C3%B6nne

Um überhaupt genügend Arbeitskräfte zu haben, warben sie damals, wie auch alle anderen Industrieanlagen, Arbeitskräfte aus Ostpreußen und Polen an. Siehe auch

http://www.deutsche-und-polen.de/_/ereignisse/ereignis_jsp/key=ruhrpolen_1880.html

Um die Jahrhundertwende baute der Fürst zu Salm Salm das dreigeschossige Schloß Düsterntal 65 km entfernt von Hannover in einem heutigen Naturschutzgebiet gelegen, welches von Gertrud Klönne und ihrem Mann Friedrich Hessing bewohnt wurde.

Wie klein die Welt ist. Nach meinem Schulabschluß war ich auf die Burg Anhalt in Westfalen von der Fürstin Ida zu Salm Salm eingeladen. Sie züchtete Pferde, und drei von ihnen bekam ich in Beritt nach Hause. Es war ihr Schwiegervater, der seinerzeit das Schloß Düsterntal an Familie Hessing abtrat.

Marianne hatte noch 6 Geschwister. Agnes war ihre ältere Schwester, die Barsois züchtete aber auch nach dem 2. Weltkrieg drei Salukiwürfe unter dem Zwingernamen "Tempo" hatte. Dann gab es noch die Brüder Diethelm, Helmut, Cornelius, Götz und Friedrich; Friederich, der eine Segelflugschule betrieb. Das nahm jedoch ein jähes Ende, als ein Propeller ihm das Bein zerschmetterte. Dieser Propeller hing bei Marianne Hessing bis zu ihrem Tode an der Wand in ihrem Haus in Frielingen. Dorthin zog sie nach dem Kriege zu ihrer Schwester Agnes.

Marianne war ein aufgewecktes und mutiges Kind, dazu eine große Tierfreundin. Sie besaß einen Affen namens Fips, der zum großen Ärgernis der Köchin immer wieder die Küche stürmte, und Pflaumen stahl. Eines Tages war zur Taufe ihres jüngeren Bruders Friedhelm ein großes Buffet hergerichtet, und man erwartete viele Gäste. Alles war mit Vorbereitungen bzw. der Garderobe beschäftigt, als Fips über das Buffet herfiel, und alles ruinierte.

Als Marianne älter wurde, wuchs sie sehr in die Höhe, überragte sogar noch viele Männer. Dabei war sie in ihrer Pubertät etwas pummelig. In der Zeit besaß sie ein zahmes Wildschwein, welches sie manchmal an der Leine zu einem Spaziergang in die Stadt mit nahm. Dann drehten sich mache Leute um und sagten: Guck mal, da kommt die Walküre mit ihrem Wildschwein. Das Wildschwein schlief nachts an ihrem Bett und avancierte zum ständigen Begleiter des Mädchens. Als Marianne nicht zugegen war, schlachtete man es heimlich, und trug es auf. Für Marianne war das ein entsetzlicher Schock, den sie Zeit ihres Lebens nicht mehr überwandt.

Erwachsen geworden, war Marianne stets eine sehr schlanke und in jüngeren Jahren eine attraktive Frau. Ihre Abenteuerlust trieb sie 1920 zu einer Autoreise von Schloß Düsterntal an die Côte D'Azur und zurück. Das war ein unglaubliches Unterfangen für eine junge Frau. Es gab damals keine Autobahnen, und auch war es nicht opportun für eine junge Dame, alleine eine derartige Reise zu unternehmen. Doch Marianne war nicht wie andere, sie war ungebunden, scherte sich nicht um verstaubte Konventionen, sie liebte ihre Unabhängigkeit und Freiheit. Zwänge, die damals noch mehr als heute Frauen auferlegt wurden, verachtete sie.

Diese Freiheit trieb sie auch dazu, neue Elemente zu erobern, die Luft. Sie wurde die erste Ballonfahrerin Deutschlands.

Durch ihre Begeisterung zur Fliegerei, die ja auch ihr Bruder Friedrich teilte, lernte sie ihre große Liebe kennen. Es war das Fliegerass Ernst Udet.

Ernst Udet wurde im 1. Weltkrieg von Manfred Freiherr von Richthofen in sein Jagdgeschwader geholt. Als Manfred von Richthofen, der auch als der "rote Baron" in die Geschichte einging, am 21.4.1918 nach 80 feindlichen Abschüssen ums Leben kam, wurde er mit allen militärischen Ehren von den Briten beigesetzt, die ihren hohen Respekt vor ihm bezeugten.

Ernst Udet überlebte als der erfolgreichste Jagdflieger den 1. Weltkrieg mit 62 Abschüssen, und ihm wurde der Orden "Pour le Mérite" sowie das "Eiserne Kreuz 1. Klasse" verliehen. Bekannt geworden ist sein Duell mit dem französischen Fliegerass Georges Guynemer, der ihm überlegen war, weil Udet Ladehemmungen seiner Waffen hatte. Georges Guynemer bemerkte Udets Ausweglosigkeit, flog darauf hin auf ihn zu und grüßte ihn ritterlich. Dann flog er davon.

Nach dem Kriege verdiente Udet sich sein Geld auf Flugschauen und begeisterte die Menge mit waghalsigen Kunststücken, flog Rekorde. Als die Nazis an die Macht kamen, lockten sie den unpolitischen Mann mit Geld und der angebotenen Leitung des Jagdgeschwaders, welches der rote Baron einst leitete, aber wenig später nahm Hermann Göring sie ihm ab, und leitete es selbst.

Udet spielte in verschiedenen Filmen als Pilot mit, besonders in Erinnerung sind Filme von der genialen Filmemacherin Leni Riefenstahl. "Die weiße Hölle vom Piz Palü" 1929 schrieb Filmgeschichte, ebenso der Film "Stürme über dem Mont Blanc" 1930 und "SOS Eisberg" 1933. In den Jahren 1930/31 gelangten ihm spektakuläre Tieraufnahmen aus der Luft für den Film "Fremde Vögel über Afrika". Sein letzter Film war "Wunder des Fliegens" 1935.

Ernst Udet geriet immer mehr unter Druck von Hermann Göring, der ihn für verschiedene Niederlagen verantwortlich machte, unter anderem für die gescheiterte Luftschlacht über England, sodaß er dem Druck nicht mehr stand hielt, und sich am 17.11.1941 erschoß.

Das Grab von Ernst Udet auf dem Invalidenfriedhof zu Berlin, durch den bis 1989 die Mauer ging.

Der Schriftsteller Carl Zuckmeier nahm Udets Lebensgeschichte als Vorlage für das inzwischen auch mit Curd Jürgens verfilmte Bühnenstück "Des Teufels General". Sein Held Harras verfällt den Nazis aufgrund seiner Leidenschaft fürs Fliegen. Ferner diente er als Vorbild für den Titelhelden Erich Land von der Amerikanerin Martha Dodd, "Die den Wind säen", "Sowing the wind". Auch der amerikanische Spielfilm mit Robert Redford als Ernst Kessler in "The great Waldo Pepper" basiert auf Udets Leben.

Für Marianne Hessing brach eine Welt zusammen. Ihr Lebenspartner, ihr Freund, war tot.

Inzwischen verarmte die Familie, und Marianne zog zu Agnes nach Frielingen, wo beide in Armut lebten, aber reich an Liebe zu ihren Hunden.

Marianne Hessing hatte Kontakt zum Fürstenhaus in Qatar, wohin sie mehrfach Saluki verkaufte, auch welche zurück erhielt, die aber nicht in ihre Zucht eingingen. Dieses waren Bülle Bülle, der die spätere Tragödie überlebte und danach in Hamburg lebte, Schneewittchen, eine extrem Scheckenhündin, die umkam und eine schwarz weiß grizzle Hündin, Micky Maus gerufen, die bereits vorher starb. Per Hubschrauber wurden die Hunde bei ihr abgeholt, und ab Genua per Fähre in den Orient weiter gesandt. Als eines Tages eine Fähre mit ihren Salukis an Bord im Hafen von Genua vor Italien sank, sandte sie keine Salukis mehr in den Orient. Saqlawiyah Sharib ar riyah, Quitta genannt, ihre Tochter Dif's Tarika, Spitzname Hummel, und Mamnouna's Delf, Quäppchen gerufen, ertranken, und das war für sie unerträglich.

Marianne Hessing schuf sich einen Stamm von Salukis, die auf die ersten deutschen Importe von Conrad Woltering und den englischen von General Lance gezüchtet, zurück gingen. Sie erkannte früh, daß die ewige Vermehrung mit Hunden des selben Gen Pools auf Dauer nicht gut gehen würde. Also sorgte sie für Blutauffrischung aus dem Ursprungsgebiet Persien ähnlichen Typs. Dadurch schuf und erhielt sie nicht nur einen unverwechselbaren Salukityp, ihre Zucht war frei von Erbfehlern und Krankheiten. In anderen Zuchtstätten gingen die Nachfahren von Conrad Wolterings Salukis verloren, sie starben aus, oder wurden verdrängt.

Sie war eine geniale Züchterin mit viel Einfühlungsvermögen für passende Verpaarungen, und ihre Zucht avancierte zur erfolgreichsten in den 60er bis 80er Jahren, wenn es um die Kombination für Schönheit und Leistung ging.

Die größte Ehre, die damals einem Züchter, Besitzer und einem Windhund bescheinigt werden konnte, der größt mögliche erreichbare Sieg und Titel, war der UICL Champion für Schönheit & Leistung. Gleich drei Hunde aus ihrer Zucht schafften das, nämlich die Wurfgeschwister Siawush, Smettanka und Shirin Mumtachir ar rih.

links Shirin und rechts Siawush Mumtachir ar rih

Smettanka Mumtachir ar rih

Marianne war großbürgerlich aufgewachsen und geprägt. Sie war es gewohnt, großzügig zu sein und Entscheidungen zu treffen. Die ließ sie sich nicht von anderen aufdrücken, kleinbürgerlichen Mief ließ sie nicht an sich heran.

Doch nun war sie verarmt, bezog eine winzige Rente. Dazu mußten sie Freunde überreden, weil sie in ihrer Bescheidenheit dem Staat nicht zur Last fallen wollte. Außerdem empfand sie es als eine Art von Entmündigung, abhängig zu sein. Sie verkaufte Blumen auf einem Markt, die sie in ihrem Garten zog. Sie bot auch die Arbeiten von Martha Astfalk - Vietz an und verkaufte diese Kunsthandwerke für eine kleine Provision. Ein Bäcker aus einem Nachbardorf brachte ihr wöchentlich einen Sack von altem Brot für ihre Salukis vorbei, und ein Schlachter lieferte hin und wieder Abfälle. Aber auch Freunde wie Lore und Siegfried Freimuth, die von ihr den überragenden Siawush hatten, stellten ihr Futtersäcke vor das Gartentor.

Jedoch sah sie sich auch konfrontiert mit Leuten, die gerne Hand auf ihre Zucht gelegt hätten, um diese und das Grundstück mit ihrem Haus zu erben, denn Marianne war bereits hoch betagt. Es gab einige sehr unschöne Auseinandersetzungen mit diesen Leuten, die sich somit von ihr zurück zogen, um dann nach ihrem Tode wiederum zur Stelle zu sein.

Es gab auch Auseinandersetzungen mit dem Zuchtverband, Marianne tat, was sie für richtig hielt, und dazu gehörte niemals Speichellecken bei Funktionären. Das jedoch ging schlecht aus.

Das Ergebnis war ihre soziale Ausgrenzung, ihr wurden üble Geschichten angedichtet, die sich noch bis heute erhalten, weil sie immer noch bösartig verbreitet, bedenkenlos geglaubt, und kritiklos nachgeplappert werden. Das ist die Rache der Überlebenden, die von ihr vor ihrem Tode nicht das bekamen, was sie sich einmal erträumt hatten. Leider sterben solche Haßprediger nicht aus, und sie wachsen auch leider überflüssiger Weise nach.

Das Dach ihres Hauses wurde undicht, ein Salukifreund aus Berlin, dem sie einige Hunde verkauft hatte, ließ es neu eindecken. Im Haus selbst gab es nur einen kleinen Kanonenofen, der im Winter für etwas Wärme sorgte. Fließendes Wasser hatte sie nicht, sie schleppte es von ihren Nachbarn zu sich herüber. Auch gab es im Haus keine Elektrizität, sie stellte in der Dunkelheit Kerzen auf. Lediglich ein Telefon verband sie mit der Außenwelt. Auch war sie eine fleißige Briefeschreiberin.

Marianne trat aus dem Zuchtverband aus. Sie war bereits über 80 Jahre alt. Sie hatte ihre Nase voll, sich ständig drangsalieren zu lassen.

Eine infizierte Verletzung am Unterschenkel machte ihr seit längerer Zeit zu schaffen. Sie humpelte zu ihren Nachbarn, und die erklärten ihr, daß sie zum Arzt müsse, dieses Bein könnten sie nicht mehr selbst behandeln. Das war Sylvester 1984 auf 1985, und Marianne humpelte zu sich zurück. Sie legte sich zu Bett, einige ihrer Salukis um sich herum. Sie muß in dieser Nacht gestorben sein, und niemand hat es bemerkt.

Funktionäre des Windhundverbandes fuhren täglich an ihrem Grundstück vorbei zur Arbeit. Man wußte, wie es gesundheitlich um sie stand, doch niemand kümmerte sich oder dachte im Notfall an die Hunde, niemand achtete darauf, daß aus dem Schornstein kein Rauch mehr aufstieg, kein Kerzenlicht durch die Fenster leuchtete und im Schnee keinerlei Pfotenabdrücke waren. Erst 12 Tage später wurde Lore Freimuth aufmerksam und alarmierte die Polizei.

Es bot sich ein Bild des Grauens. Auf Matratzen mit hervorstechenden Sprungfedern lagen halb verhungert und verletzt Salukis, kaum mehr in der Lage, auch nur noch den Kopf zu heben. Daneben waren Salukis erfroren und verhungert, angefressen. In der Küche lagen Salukis wie zu einer Pyramide übereinander, um sich so wenigstens noch gegenseitig Wärme zu spenden, dazwischen lagen Hunde, die bereits gestorben waren. Alles war verkotet, naß vom Urin und im Hause bitterkalt. Es herrschte eine Außentemperatur von mehr als minus 20° Celsius. Marianne Hessing wurde von den Hunden, die sie neben sich hatte, in deren Not angefressen. Sie roch nicht mehr nach dem bekannten Frauchen, bewegte sich nicht mehr, und die Hunde litten entsetzlichen Hunger. Somit taten sie das, was auch Menschen in solch einer Notlage tun, sie fraßen ihr totes Frauchen und ihre toten Artgenossen an.

Hundefänger rückten an, und sicherlich aufgewühlt wegen des sich ihnen bietenden Anblicks zerrten sie die geschwächten Hunde mit Gewalt zu ihrem Transporter, Schlingen wurden den verängstigten Tieren um den Hals gezogen, Stöcke in den Händen gehalten, und dick gepolsterte Armschoner wie drohende Balken durch die Luft gewirbelt.

Lore Freimuth warf sich dazwischen. Sie erklärte, jeden der Hunde zu kennen, daß die Hunde alle harmlos sind, und sie sie einzeln in den Transporter bringen kann. Doch die Männer waren wie im Rausch vom Jagdfieber ergriffen, sie schubsten Lore in den Schnee, und setzten ihre Quälereien an den geschundenen Tieren fort. Schließlich waren sie ja Menschenfresser, und da waltet keine Gnade.

Die Hunde, die überlebt hatten, kamen ins Tierheim. Eine Hündin jedoch wurde übersehen, sie wurde vier Tage später entdeckt. Sie, die später Adina Minou genannt wurde, ihre Mutter Tita's Sheicha, deren Wurfschwester Tita's Mamnouna und ihre Tochter Bagheera nahm ich später nach Berlin, Sheicha und Bagheera blieben bei mir, die anderen beiden übergab ich avisierten Salukibesitzern, und mein eigenes Leben wurde von nun an völlig umgekrempelt.

Eine Obduktion von Marianne Hessing ergab, daß sie eines natürlichen Todes gestorben war, sicherlich begünstigt von der Infektion im Bein. Sie wurde nicht von ihren Hunden angefallen, wie teilweise behauptet, und wer Salukis kennt weiß, daß diese Rasse niemals dazu fähig wäre.

 

Ich bedanke mich bei Marianne Hessings Nichte Angelika, deren Vater Diethelm in englische Kriegsgefangenschaft geriet, und dort seine spätere Frau Joyce kennen lernte, die sich liebevoll des Gefangenen annahm. Noch heute spricht man in der Familie voll Hochachtung, Dankbarkeit und Liebe von ihr. Und das kann ich gut verstehen, als ich mit ihr sprechen durfte. Angelika verdanke ich die Überprüfung der Anekdoten aus Marianne Hessings Leben auf Wahrheitsgehalt, weitere Informationen und Bilder.

Ich bedanke mich bei Herrn Dr. Träger, der in jungen Jahren zusammen mit Diethelm Hessing in einer Kompanie des Fliegerhorstes in Dortmund ausgebildet wurde, sich schmunzelnd an gemeinsame Tanzvergnügen erinnerte, und dessen Schwiegersohn heute eine Suchtklinik in Schloß Düsterntal betreibt.